Gerecht verteilen: An welchen Kriterien orientieren sich Kinder und Jugendliche?

Gerechtigkeit ist ein Menschheitsthema und spielt auch in der Schule eine große Rolle. Die Psychologin Prof. Dr. Jutta Kienbaum erforscht zusammen mit ihren Studierenden an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, wie sich Verteilungsgerechtigkeit bei Kindern und Jugendli­chen entwickelt. Entscheiden sie nach Bedürftigkeit oder nach Leistung?

Experiment zur Verteilungsgerechtigkeit: Welche Kriterien spielen für Kinder eine Rolle? Screenshot: Pädagogische Hochschule Karlsruhe

Experiment zur Verteilungsgerechtigkeit: Welche Kriterien spielen für Kinder eine Rolle? Screenshot: Pädagogische Hochschule Karlsruhe

Woran orientieren sich Kinder und Jugendliche intuitiv, wenn sie etwas gerecht verteilen sollen? Daran, wer bedürftiger ist? Daran, wer mehr geleistet hat? Oder berücksichtigen sie beide Kriterien? Und entscheiden jüngere Kinder anders als ältere? „Gerechtigkeit ist ein Mensch­heits­thema und spielt auch in der Schule eine große Rolle“, sagt die Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Jutta Kien­baum, Leiterin des Instituts für Psychologie der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe.

Ihr empirisches Forschungsseminar zur Frage, wie sich Verteilungsgerechtigkeit bei Kindern und Jugendlichen entwickelt, ist deshalb bei Lehramtsstudierenden auch im zehnten Jahr sehr ge­fragt. Im Rahmen dieses Seminars führen Studierende mit Schulkindern ein Experiment durch, das sich um eine Pausenhofgeschichte dreht. Dabei sollen die Schülerinnen und Schüler entscheiden, welche Protagonisten – dargestellt durch Playmobilfiguren – fürs Müllsammeln sym­­bolisch mit wie viel Süßigkeiten belohnt werden. Sollen diejenigen mehr bekommen, die sich beim Müllsammeln angestrengt haben? Oder diejenigen, die zu Hause gar keine oder nur wenig Süßigkeiten haben?

Für Kinder spielt Bedürftigkeit eine größere Rolle

Mehr als 60 Abschlussarbeiten sind bereits aus dem Seminar heraus entstanden. Außerdem sind die Ergebnisse der Studierenden in eine Längsschnittstudie eingeflossen, die in Karlsruhe durchgeführt wurde. „Unsere Studie hat gezeigt, dass Kinder in der Grundschulzeit denjenigen mehr geben, die bedürftiger sind, oder Bedürftigkeit und Anstrengung gleichzeitig berücksichtigen“, berichtet Prof. Dr. Kienbaum. Jugendliche hingegen integrieren ganz überwiegend beide Kriterien und Erwachsene geben entweder der Person mehr, die sich mehr angestrengt hat, oder berücksichtigen beide Kriterien. „Die Bedürftigkeit als alleiniges Verteilungskriterium scheint also im Laufe des Lebens zu verschwinden“, so Kienbaum. Dieses Ergebnismuster bestätigten auch ihre in der Schweiz und Südtirol erhobenen Daten.

Den Forschergeist der Studierenden wecken

„In meinem Forschungsseminar zur Verteilungsgerechtigkeit lernen die Studierenden wissenschaftlich zu arbeiten, auch experimentell “, sagt die Psychologin und unterstreicht: „Es ist wichtig und schön, den Forschergeist der Studierenden zu wecken.“ Marie Sommer beispielsweise geht gerade in ihrer Bachelorarbeit der Frage nach, ob Kinder an einer Montessori-Schule genauso verteilen wie an einer staatlichen Regelschule. Dazu hat die Lehramtsstudentin, die später in einer Grundschule unterrichten möchte, im Januar und Februar Schülerinnen und Schüler in der Notbetreuung in Rheinland-Pfalz befragt. „Besonders beeindruckt hat mich, wie wichtig Gerechtigkeit für Kinder ist, und mit wie viel Sorgfalt sie entscheiden“, erzählt die 23-Jährige.

Mehrwert für den späteren Beruf

Und Alexandra Wilmsen, die Lehramt für die Sekundarstufe I studiert, sagt: „Durch das Seminar zum Thema Verteilungsgerechtigkeit habe ich mehr Verständnis für Schülerinnen und Schüler entwickelt. Gerade in der Sekundarstufe machen Kinder einen wichtigen Entwicklungsschritt. Hier sind Gelassenheit und Geduld gefragt.“ Es sei sehr spannend gewesen, die Forschungs- und Auswertungsmethoden der Psychologie kennenzulernen, so die 25-jährige Studentin. Und der Mehrwert, den das Seminar für ihren späteren Beruf als Lehrerin habe, sei „nicht von der Hand zu weisen“.

Pressemitteilung als pdf

  regina.schneider@vw.ph-karlsruhe.de